Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland?

Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland
Dawyd Arachamija spielte eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen mit Russland, die Ende März 2022 in der Türkei stattfanden. Hier ist er mit dem damaligen türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu (l.) und Selenskyj-Berater Mychajlo Podoljak zu sehen. Quelle: Sergei Karpukhi/Imago - BZ

Kann und sollte es solche Gespräche jetzt geben? Diese Frage wird dieser Tage immer häufiger öffentlich diskutiert. Viele Experten werden dazu befragt und manch ein Politiker betreibt Planspiele mit unklarem Kalkül. Es gibt die unterschiedlichsten Ansätze zu hören und zu lesen.
Dabei muss man das Rad garnicht neu erfinden. Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland hat es bereits im März/April 2022 gegeben. Es gibt sogar schon eine sehr weit ausgehandelte Grundlage, auf der man aufbauen könnte. Nur scheint das niemand wirklich zur Kenntnis nehmen zu wollen. Jedenfalls spricht im öffentlichen Diskurs hierzulande kaum jemand über diese bereits ausgehandelte Vereinbarung. Vielleicht weil sie nicht umgesetzt wurde?

Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland?

Durch diesen Artikel in der Berliner Zeitung bin ich das erste Mal auf diese weit fortgeschrittenen Gespräche zwischen der Ukraine und Russland aufmerksam geworden. Das war im Dezember 2023. In dem Artikel wird über ein Interview berichtet, das der Politiker Dawyd Arachamija, Fraktionsvorsitzender von Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“, im ukrainischen Fernsehen gegeben hat. Damals konnte ich kaum glauben, was ich da las. Jedenfalls hat mich das damals schon zu dem Beitrag „Warum es zum Krieg in der Ukraine kam“ inspiriert.

Dank Christian Rickens vom Handelsblatt bin ich jetzt erneut auf diese Verhandlungen aufmerksam geworden. Zwei Politikwissenschaftler in den USA haben sich dieser Angelegenheit angenommen und ihre Erkenntnisse veröffentlicht. Sie haben bislang unbekannte Vertragsentwürfe und Gesprächsprotokolle analysiert und mit Beteiligten an den damaligen Verhandlungen Interviews geführt. Außerdem haben sie den Kriegsverlauf und die parallel laufenden Verhandlungen in einen zeitlichen Zusammenhang gebracht. Eine hochinteressante Analyse. Erkenntnisgewinn garantiert.

Sie bestätigen die Aussagen von Dawyd Arachamija in dem Artikel der BZ zu den damaligen Verhandlungen. Zusätzlich liefern sie mehr Details der damaligen Gespräche, die den Krieg in der Ukraine bereits im Mai 2022 hätten beenden können. Die Gespräche fanden im März und April 2022 in Belarus und Istanbul statt. Verhandlungsdelegationen aus beiden Kriegsparteien führten die Gespräche. Nachstehend kurz zusammengefasst die wichtigsten Übereinkünfte.

  • Die Ukraine verzichtet auf eine Nato-Mitgliedschaft, auf Atomwaffen und die Stationierung ausländischer Truppen auf ihrem Territorium.
  • Eine EU – Mitgliedschaft der Ukraine wäre offenbar für Russland kein Problem.
  • Eine Staatenkoalition aus den ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates plus Kanada, Deutschland, Israel, Italien, Polen und der Türkei sollten zukünftig die Sicherheit der Ukraine garantieren.
  • Russland erklärt die Bereitschaft nach dem Friedensschluss auch über den zukünftigen Status der Krim zu verhandeln.
  • Die Frage von Grenzen und Territorium wurde in dem Entwurf bewusst ausgeklammert. Dies sollte final durch Selenskyj und Putin persönlich vereinbart werden.

Meine Sicht der Dinge

Nach dem Lesen des Artikels der beiden Politikwissenschaftler blieb bei mir eine Frage offen.
Warum wurde dieser, in weiten Teilen sehr detailliert ausverhandelte Entwurf einer Friedensvereinbarung nicht umgesetzt?
Die beiden Experten konnten diese Frage auch nicht belegbar beantworten. Bleiben also Mutmaßungen. Die beiden Experten kommen zu folgenden möglichen Antworten.

  • Der Westen hat nicht wirklich enthusiastisch auf das Verhandlungspapier reagiert. Es herrschte überwiegend Skepsis hinsichtlich diplomatischer Verhandlungen mit Russland. Das war enttäuschend für die ukrainischen Anstrengungen.
  • Stattdessen wurde, angeführt durch Großbritanien, die militärische Unterstützung der Ukraine in den Vordergrund geschoben und die Ausweitung der Sanktionen gegen Russland.
  • Die USA inkl. der Verbündeten hatten kein Interesse daran, in einen Krieg mit Russland zu treten, falls Russland die Ukraine erneut attackieren sollte.
  • Aufgrund der militärischen Erfolge der Ukraine zu diesem Zeitpunkt des Krieges, schöpfte die Ukraine zunehmend mehr Hoffnungen auf einen Gewinn des Krieges. Das führte zu härteren Forderungen gegenüber Russland, die dort inakzeptabel waren.

Ich stimme damit völlig überein. Aus meiner Sicht sehr treffende Mutmaßungen.
Offen bleibt für mich die Frage, warum Europa und allen voran Deutschland, die diplomatische Chance, die sich damals aufgetan hat, nicht ergriffen haben. Wo waren unser Bundeskanzler und unsere Außenministerin? Das ist ein Krieg in Europa und der muss von Europa befriedet werden. Warum keine Diplomatie sondern nur militärische Unterstützung der Ukraine? Das Diplomatie mit Russland möglich ist, zeigen diese Verhandlungen mehr als deutlich. Heute müsste die Ukraine vermutlich sogar ein weitaus schlechteres Abkommen unterzeichnen. Also wird weitergemacht. Mehr Waffen, mehr Tote, mehr Vertreibung, mehr Zerstörung. Deutschland und Frankreich sollten gemeinsam eine diplomatische Offensive starten, um diesen blutigen Krieg am Verhandlungstisch zu beenden. Das wäre doch mal eine positive Entwicklung.

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