Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr

Im Januar 2023 hat Boris Pistorius das Amt des Verteidigungsministers übernommen. Nachdem es danach zu einigen Irritationen und Diskussionen um Begrifflichkeiten wie Kriegstüchtig kam, ist inzwischen das Ziel klar.
Die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr ist der Maßstab für strukturelle Veränderungen innerhalb der Bundeswehr. So liest man es dieser Tage auf der offiziellen Webseite der Bundeswehr. Und das ist gut so, weil das laut Grundgesetz die Kernaufgabe der Bundeswehr ist.
Wie es um die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr bestellt ist. Darauf versuche ich in diesem Beitrag Antworten zu finden. Los geht es mit dem Blick auf ein paar Fakten zur Entwicklung der Bundeswehr.

Personalstärke
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Wehrpflicht seit 1956 im Grundgesetz (Artikel 12a) verankert. Dadurch gab es einen kontinuierlichen Aufbau aktiver Soldaten.
Zu Zeiten des Kalten Krieges hatte die Bundeswehr eine Personalstärke von annähernd 500.000 aktiven Soldaten. Hinzu kam rund die doppelte Anzahl gut ausgebildeter Reservisten. Weit mehr als man im Verteidigungsfall hätte einsetzen können.
Mit dem Ende des Kalten Krieges begann der Personalabbau in der Bundeswehr. Anfangs war der Abbau aufgrund der Verpflichtungen aus den 2+4 Verträgen (Sept. 1990) nötig. Die Anzahl der aktiven Soldaten wurde dadurch auf 370.000 begrenzt. Danach wurde allerdings weiter reduziert.
2011 wurde die Wehrpflicht während der Regierungszeit von Angela Merkel (CDU) ausgesetzt. Dies führte zu einem weiteren, deutlichen Rückgang der Personalstärke.
Im Jahr 2023 sind noch rund 181.000 aktive Soldaten im Dienst. Dazu kommen 34.000 beorderte Reservisten für die es eine Planstelle gibt.

Verteidigungsausgaben
Die Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland wurden seit der Wiedervereinigung im Jahre 1990 kontinuierlich reduziert. Das begann noch in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Allerdings wurde damit die Vereinbarung aus dem 2+4 Vertrag umgesetzt (s. Grafik Personalstärke der Bundeswehr).
Eine einsatzbereite Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung schien den nachfolgenden Regierungen dann nicht mehr wichtig und notwendig zu sein. Politisch wurde der Fokus der Bundeswehr auf Auslandseinsätze (Balkan, Afghanistan, Mali) gelegt. Investitionen in Landesverteidigung fanden kaum noch statt. Ein folgenschwerer Fehler. Entsprechend groß ist jetzt der Nachholbedarf.
Mit dem Ausbruch des Ukraine – Krieges kam dann die Rückbesinnung. Unter Bundeskanzler Olaf Scholz waren die Verteidigungsausgaben zumindest nicht mehr rückläufig sondern erhöhten sich leicht. Allerdings immer noch weit unter dem 2% – Ziel der NATO – Mitgliedsstaaten. Dieses Ziel wurde bereits im Jahr 2002 innerhalb der NATO verabredet aber von Deutschland nie eingehalten.
2024 soll dieses Ziel nun durch die Schaffung des Sondervermögens für die Bundeswehr erstmals eingehalten werden.
Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr – Stand 2024
Wie eingangs schon erwähnt, steht für die Bundeswehr die Landes- und Bündnisverteidigung seit 2022 wieder im Fokus allen Handelns. Um den immensen Nachholbedarf bei der Ausrüstung der Bundeswehr zu beschleunigen, wurde ein Sondervermögen in Höhe von 100 Mrd. € bereitgestellt. Ein Jahr lang ist unter Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin leider wenig passiert. Erst mit Boris Pistorius kam Anfang 2023 Bewegung in die Nachrüstung der Bundeswehr.
Dem 19. Rüstungsbericht der Bundeswehr kann man entnehmen, dass zum Stichtag 30.4.2024 86,6 Mrd.€ dieses Sondervermögens in konkreten Projekten gebunden sind. Das bedeutet, die Projekte sind vom Verteidigungsausschuss gebilligt und die Aufträge sind entsprechend vergeben. Nur verfügbar ist die Ausrüstung leider nicht sofort. Das muss ja alles noch produziert werden und das wird bei einigen Ausrüstungsgegenständen noch ein paar Jahre dauern. Darauf weist auch General Carsten Breuer sehr diplomatisch hin, wenn er sagt.
„Wenn wir angegriffen werden würden, dann würden wir uns verteidigen mit dem was wir gerade haben.
General Carsten Breuer – Generalinspekteur der Bundeswehr im Podcast der Bundesregierung
Könnten wir es besser? Darauf sage ich, ja, das könnten wir auch.“
Etwas weniger diplomatisch drückt es Sönke Neitzel aus.
„Die Bundeswehr ist nicht kriegstüchtig geworden. Das ist der Lage* geschuldet. Aber wir müssen einfach Tempo machen.„
Prof. Dr. Sönke Neitzel – Militärhistoriker im Interview mit dem ZDF im Januar 2024
„Ich glaube, dass in der Frage Kriegstüchtigkeit die SPD und ihre rosaroten Weltsichten das größte Problem sind.„
*Mit der Lage geschuldet meint er, weil wir zu wenig produzieren und weil wir sehr viel an die Ukraine abgeben müssen.
Meine Sicht der Dinge
Auslandseinsätze der Bundeswehr habe ich persönlich immer schon für falsch angesehen. Insofern ist der Richtungswechsel, der jetzt in der Bundeswehr vollzogen wurde, zu begrüßen. Was über Jahrzehnte in Bezug auf die Landesverteidigung versäumt wurde, lässt sich leider nicht einfach so in einem Jahr aufholen. Das wird Jahre brauchen, die wir wohl haben werden, denn Russland wird eine Ausweitung des Krieges auf ein NATO – Mitglied in den nächsten Jahren nicht riskieren.
Und es wird viel Geld kosten, das zukünftig aus dem normalen Verteidigungsetat kommen muss. Dieser müsste dann, 2% – Ziel der NATO unterstellt, 80 Mrd.€ betragen. Eine erhebliche Steigerung und eine große Herausforderung für die neue Regierung.
Aber für mich gibt es keinen anderen Weg, weil ich in Zeiten des Kalten Krieges miterleben konnte, dass Abschreckung funktioniert. Wenn der Preis für einen potenziellen Aggressor zu hoch wird, dann lässt er es lieber bleiben. Und letztlich hat die friedliche Beendigung des Kalten Krieges bewiesen:
„Wenn Menschen die richtigen Entscheidungen treffen, lassen sich selbst Konflikte zwischen Supermächten friedlich lösen.“
Yuval Noah Harari in seinem Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“
Ich würde mir auch lieber eine Welt ohne all dieses Kriegsgerät wünschen. Leider gibt es aber immer noch Staaten, die neuerdings wieder darauf setzen, ihren Machtbereich durch militärische Einsätze zu vergrößern. Aber, nochmal Prof. Harari.
„Zudem ist es ausgesprochen gefährlich anzunehmen, ein neuer Weltkrieg sei unvermeidlich. Das nämlich könnte sich als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen. Sobald Länder davon ausgehen, Krieg sei unausweichlich, peppen sie ihre Armeen auf, stürzen sich in eskalierende Rüstungswettläufe, verweigern sich bei Konflikten jedem Kompromiss und hegen den Verdacht, dass Gesten des guten Willens nichts weiter als Fallen sind. Das garantiert, dass es zu einem Krieg kommt.“
Yuval Noah Harari in seinem Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“
Unsere aktuelle Politik gegenüber Russland macht all dies. Eine gefährliche Entwicklung, die unbedingt verändert werden muss. Er schreibt aber auch:
„Andererseits wäre es naiv anzunehmen, Krieg sei unmöglich. Selbst wenn Krieg für alle eine Katastrophe bedeutet, kann kein Gott und kein Naturgesetz uns vor menschlicher Dummheit schützen.“
Yuval Noah Harari in seinem Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“
Ich ziehe für mich daraus den Schluss, dass wir einen Weg zwischen diesen beiden Extremen beschreiten müssen. Wir sollten bereit sein, aber parallel dazu immer diplomatische Beziehungen zu allen Staaten unterhalten, um deutlich zu machen, dass wir mit unserem Militär rein defensive Absichten haben. Das muss ständig durch entsprechendes Verhalten mit Glaubwürdigkeit untermauert werden.